Am 9. Februar erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger für verfassungswidrig und forderte eine Neuregelung. Nach der Revision wird der Staat voraussichtlich mehr Geld für die Grundsicherung, besonders für die Unterstützung von Kindern, aufwenden. Aktuell wird auf Bundesebene an einer Umsetzung des Urteils gearbeitet.
Was FDP-Chef Guido Westerwelle daraufhin erklärt hat, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Die Debatte um die Hartz-IV-Sätze trage „sozialistische Züge“ und „wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Diese Aussagen hat Westerwelle mehrfach mit Nachdruck bekräftigt, zuletzt heute auf dem „Politischen Aschermittwoch“ der F. D. P. in Straubing.
Auf den ersten Blick wirken Westerwelles Aussagen einfach nur realitätsfern und sogar komisch. Doch je ernsthafter er seine Thesen wiederholt und mit immer mehr konkreten „sozialpolitischen Vorstellungen“ der FDP unterlegt, desto mehr wandelt sich Heiterkeit in Wut.
Wer den Hartz-IV-Regelsatz als Wohlstand – sei es mit oder ohne Anstrengung – beurteilt, hat schlichtweg „den Schuss nicht gehört“! Klar, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die Verantworzung für die Agenda 2010 und damit für das Arbeitslosengeld II. Mit den so genannten „Hartz-Gesetzen“ sind wir damals sehr weit gegangen: Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I, Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, bessere Beteiligung ehemaliger Sozialhilfeempfänger an arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, enge Kopplung des Hilfebezuges an die Bemühungen um einen Arbeitsplatz, Einsatz weiter Teile des eigenen Vermögens (Renten, Sparguthaben) oberhalb gewisser Freibeträge.
Was für frühere Sozialhilfeempfänger ein Fortschritt war bedeutete gegenüber der alten, auch vom früheren Einkommen abhängigen Arbeitslosenhilfe eine drastische Reduzierung der Hilfe. Für alle kam zudem das Aufgehen früherer einmaliger Leistungen (z. B. bei Umzug, besonderen Anschaffungen usw.) in den Regelsatz hinzu.
Und wie sieht es mit denen aus, als deren Anwalt sich Westerwelle angeblich aufspielen will: Wer arbeitet muss mehr in der Tasche haben, als jemand, der nicht arbeitet, sagte er sinngemäß. Welches Einkommensniveau schwebt dem Herrn Westerwelle denn vor? Etwa das von Schlecker-Mitarbeitern und vielen anderen, denen EIN Job heutzutage zum Leben kaum reicht als Messlatte zu nehmen wäre schlichtweg zynisch und bodenlos unverschämt. Ja, will er denn DIESE Einkommen anheben? Schön, dann soll er doch mit Begeisterung seine FDP auf den SPD-Kurs für flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne einschwören.
Nein, diesen Wohlstand kann er nicht meinen. Aber wie sieht es mit wirklich anstrengungslosem Wohlstand aus? Da steht die FDP an der Spitze, denn sie wehrt sich hartnäckig gegen strengere Regeln gegen Spekulanten auf den Finanzmärkten, sie bekommt für das sicher nicht sehr anstrengende „Handheben“ für eine Steuersenkung im Übernachtungsgewerbe für ihren Partei-Wohlstand eine Millionenspende.
Gehen wir Westerwelle nicht auf den Leim, indem wir nur über ihn lachen. Seine Aussagen finden auch immer mehr Unterstützung. Wir müssen in diesem Land jetzt verhindern, dass Westerwelle und Co. mit ihrem Versuch durchkommen, weite Teile der Gesellschaft nicht nur noch weiter an den Rand des Existenzminimums zu bringen, sondern sie dauerhaft ihrer Aufstiegschancen zu berauben und aus unserer Gesellschaft auszugrenzen. Um nichts anderes geht es Westerwelle, seiner Partei und ihrer Lobby.