Quelle: Weser Kurier, 13. Mai 2015, von: Antje Stürmann, Bild: Karsten Klama.
Gib mir endlich ein „P“! Mit Spannung warten Politiker, Wahlkampfhelfer, Freunde und Nachbarn auf die amtlichen Endergebnisse der Bürgerschaftswahl. Noch immer ist bei einigen Kandidaten nicht sicher, ob sie durch Listenwahl (L) oder Personenwahl (P) ins Parlament einziehen. Am Dienstag ändert sich die Lage binnen weniger Stunden. Sogenannte Wackelkandidaten, die keinen sicheren Listenplatz innehaben und für die es auf jede Stimme für die eigene Person ankommt, berichten über ungewohnt leichten Schlaf und gestiegenen Kaffeekonsum.
Zum Verständnis: Die Computer im Landeswahlamt leiten aus der Anzahl der Stimmen, die eine Partei erreicht hat, die Anzahl ihrer Sitze im Parlament ab. Danach wird das Verhältnis der erreichten Listenstimmen zu den auf die Personen entfallenen Stimmen ausgewertet. Wem das Mandat nicht schon über einen vorderen Listenplatz sicher ist, kann mit Personenstimmen punkten und so in die Bürgerschaft einziehen. Auf diese Weise werden nach und nach alle 83 Sitze vergeben.
Kurz nach 14 Uhr haben die Wahlhelfer 273 von 458 Wahlbezirken inklusive Briefwahl erfasst. Zu diesem Zeitpunkt muss unter anderem Rainer Hamann (SPD; Listenplatz 37) mit 795 Stimmen noch um seinen Platz in der Bürgerschaft bangen. Auf die Zahlen ist bis dato kein Verlass, wie Evelyn Temme vom Statistischen Landesamt sagt: „Auf den unteren Listenplätzen passiert noch ganz viel, wenn Wahlbezirke ausgewertet werden, in denen der Bewerber viele Stimmen von Nachbarn oder Freunden erhalten hat.“
Hamann verfolgt den Stimmen-Krimi an seinem Arbeitsplatz: Einer von drei Bildschirmen des Softwareentwicklers sind für die Ergebnisse der Wahl reserviert. Alle zehn Minuten aktualisiert der 50-Jährige das vorläufige Zwischenergebnis. „Spaß geht anders“, sagt Hamann. „Es wäre schön, wenn ich ein Mandat bekäme.“ Dass es eng werden könnte, hat er erwartet. Das war auch schon bei der letzten Wahl so. Wie der Sozialdemokrat die Zeit bis zum Endergebnis überbrückt? „Mit Arbeit und Kaffeetrinken“, sagt der SPD-Politiker. Sollte er es nicht in die Bürgerschaft schaffen, „wäre das vor allem eine Enttäuschung für die Leute, die mich im Wahlkampf unterstützt haben“, sagt Hamann. Gegen 17 Uhr drückt er wieder einmal die Taste „F5“ für aktualisieren: Da ist es, das „P“ hinter seinem Namen. Kein Jubelschrei, eher verhaltene Freude nach innen. Mit knapp über 1000 Stimmen wäre Hamann, der seit acht Jahren in der Bürgerschaft sitzt, wieder mit von der Partie.
Bei den Grünen zittern zu diesem Zeitpunkt Anne Schierenbeck, Kirsten Kappert-Gonther und Susanne Wendland um ihre Mandate. Wendland: „Ich bin total gespannt, ob ich es noch schaffe.“ Sie ist alles andere als gelassen – sieht die Sache aber positiv: „Ich habe einen guten Personenwahlkampf hingelegt und viele positive Rückmeldungen bekommen.“ Sollten die Stimmen nicht für ein Mandat reichen, habe sie immerhin viel Wertschätzung erfahren, „vier Jahre lang gute Politik gemacht, und ich bin mir treu geblieben“. Nach 19 Uhr haben Anne Schierenbeck und Kirsten Kappert-Gonther ihr „P“. Susanne Wendland nicht.
Ein Auf und Ab der Gefühle erlebt Thomas vom Bruch (CDU). Der als Spitzenkandidat für die Bürgermeisterwahl gehandelte Politiker hat I-Pad und Smartphone immer griffbereit, denn auch er zählt zu den Wackelkandidaten. „Erst war das ,L’ da, mitten in der Nacht dann verschwunden“, sagt vom Bruch, der ausnahmsweise und ziemlich unruhig neben seinem Smartphone schläft. Später sieht es dann doch wieder so aus, als würde der Ex-Staatsrat über Listenplatz 9 ins Parlament einziehen. Fraktionskollege Claas Rohmeyer (Platz 14) erlebt eine ähnliche Achterbahnfahrt. Nur dass er zwei Chancen hat, in die Bundestag einzuziehen: Sollte er es nicht über die Personenwahl schaffen, wäre er Nachrücker für eine in die Bürgerschaft wechselnde Elisabeth Motschmann. „Ich bin seit 16 Jahren Abgeordneter und würde es gern noch vier Jahre bleiben“, sagt der 44-jährige Kommunikationsberater.
Hartmut Bodeit (CDU) indes rechnet abends nicht mehr damit, Parlamentarier zu werden – am Morgen sah das noch anders aus. „Ich sehe diese Entwicklung sportlich: Wir haben alle gemeinsam ein tolles Ergebnis erzielt“, sagt er. FDP-Politiker Timo Koschnick hingegen packt wie bei seiner Firmengründung das Kribbeln. Dennoch schaut die Freundin öfter als er, wie sich das Wahlergebnis entwickelt. Der Inhaber einer Designagentur hat es ins Parlament geschafft: „Ein schönes Gefühl, dass man Leute überzeugt hat“, sagt er.